Weinkampf
- Autorenbegegnung
„Weinlese“ in Sonneck, 9. Oktober 2020
Lage,
Lage, Lage
Nachfrage
In
vino veritas
Geschmacksgrenze
kratzt am 51. Breitengrad
Geschmackshoheit
ohne Weinkrampf
Lage,
Lage, Lage
Edelstahllager,
geschmacksneutral
Führung
der Temperatur, CO²-Entlüftung
Rebstöcke
wurzeln 50-Meter dunkel durch den Muschelkalk
verwandeln
Saalegrundwasser in Wein
Lage,
Lage, Lage
Hanglage,
B-Lage
Weingut
spielt mit aktuellem Geschmack
Rot,
Rosé, Weiß,
Farbenblindverkostung
Sulfide
sind Spielverderber
Lage,
Lage, Lage
Gelage,
Gelaber nach der ersten Flasche
Unstrut
wird Gutstrut
nach
der zweiten Salle gelaalt
nach
der dritten Wutstrut
feuchtfröhlich,
Hauptsache trocken
Sich
selbst lieben
Mir
zweimal 200 Euro aus dem Geldautomaten geben lassen, obwohl ich noch
genug Bargeld habe, obwohl mein Konto überzogen ist. Überlege, ob ich
das morgen noch mal mache, dann hätte ich fast 1000 Euro in der Tasche.
Anstatt
des üblichen Salatmixes für sechs zwanzig, den Antipasti Teller für
neun siebzig bestellt und dazu noch den leichten französischen Landwein
(das Leben in der Stadt ist schon schwer genug), abgerundet mit einem
Cappuccino.
Wen
könnte ich jetzt anrufen?
Heute
wieder Abschied von Vertrautem.
Morgen
ausschlafen - wenn ich einschlafen kann
Dann
unbedingt Laufen - jetzt weiß ich, warum es mir morgen besser gehen
wird.
Es
geht also auch ohne Menschen.
Wo
sind die Mütter - die mir guttun?
Mondwein
Der
einsame Drehverschluss der Weinflasche
auf
dem Spannbettlaken
im
nächtlichen Küchenzeilenlicht
vergessener
Gegenstand auf dem Mond
Cafe
Amsterdam MD
Hier
bin ich - nie allein.
Warmes
gelbes Licht weicht die kleinen quadratischen Tische auf, fängt sich in
den Weinperlen am Rand des langstieligen, trotzdem bauchigen Weinglases.
Der
Salzstreuer dagegen, ein verlorenes kleines Haus zwischen
Wolkenkratzern.
Abschätzende
Blicke, beobachte ich, selbst abschätzend.
Einen
Moment - mit der Musikpause – steht alles still.
Das
zweite Glas französischen Landweins macht mich unabhängiger im
Alleinsein, gelassener. Trotzdem fehlt die Amsterdamer Gemütlichkeit,
die kleinen Teppiche auf den Tischen, das Chaos, das ich in meinen holländischen
Genen weiß.
An
den beiden nebenan zusammengestellten Tischen bewegt sich die Gesprächsblase
zwischen den drei jungen Frauen und vier Männern wabernd hin und her,
teilt sich an der Ecke, um sich dann wieder zu vereinigen.
Reflexe
in den letzten Tropfen.
Zeit,
die Abrechnung zu fordern.
Alles
angeboten
Habe
ich mich dir nicht angeboten,
wie
auf einem Tablett
mich
preisgegeben,
die
Hose runtergelassen.
Alles,
alles war dir offen!
Du
hättest in mir lesen können,
wie
in einem guten Buch.
Alle
meine Mysterien
wären
für dich gelöst …
…
wenn du nur einmal meine Wohnung aufgeräumt hättest!
Versprechen
höbe
dich
wärest
du gestürzt
auf
grübe
dich
wärest
du verschüttet
aus
liebte
dich
wärest
du erschüttert
auch
Manches
Mahl …
… wenn Ruhe kommt,
allein, in der Mittagspause
Reis, Tofu, das Gemüse
schmecke ich dir nach
nach der Pause
denke ich
Reis, Gemüse
dein Geschmack
satt hungriger Worte
Messer
Ich
brach die Klinge
Familiensilber
wollte
vom Wachs befreien
Schmerzen
schlaflos
du
hattest Recht
wir
übten noch
die
alten Zeiten
trieben
den Schlaf
in
die Ecken unserer Heimaten
jetzt
sucht er dich
zwischen
Zeitzeichen und Pheromonen
geht
ohne dich
ins
Bett
#onlineburnout
digi taler
online
is fact
wer
mimt, der streamt
texte
hetzen
zu
performances
hör-
und sehspielen
movie
romances
podcast
lieben
cross
over
over
online
is fake
sätze
niederschwelliger mündigkeit
hetze
hochschnellender übelkeit
schätze,
verloren in müdigkeit
over
crowded
over
rhyth
- mus
von
au - ßen
wo
ich mit - muss
Ausdruck
der Freiheit
15
Gedichte schicktest du
Ich
drucke sie aus:
·
Die Ballade von der Bäckersfrau
·
Einen Hauch …
·
Freiheit
o
da
gibt es einen Stau
§
„Gestautes … aus dem Inneren der internen
Abdeckung entfernen!“
§
dort finde ich die Freiheit, zerknautscht, 8 Zeilen,
22 Worte
§
ich ziehe, zerre, reiße sie heraus
§
ein Knick bei „Hoheitsgebiet“, ein Loch bei „Silberwolkengestrichel“,
der „Himmel“ zu blass
o
Neustart
o
wieder
ein Stau
§
„Gestautes… aus dem Inneren der internen Abdeckung entfernen!“
§
dort finde ich wieder die Freiheit, zerfleddert, 144
Zeichen, 17 Leerzeichen
§
ich ziehe, zerre, reiße sie heraus
§
Schmutz an „Gestatten“, Kratzer an
„Geringstenfalls“
o
Neustart
Freiheit –
Schwarz/Weiß - wie gedruckt
·
Hoffnung
o
wieder
Stau
§
dito, also „Gestautes … aus dem Inneren der
internen Abdeckung entfernen!“
§
dort finde ich die Hoffnung, es knirscht, 15 Zeilen,
59 Leerzeichen
§
Hoffnung, größer als Freiheit
§
ich ziehe, zerre, reiße sie heraus
§
Macke bei „Mächtigeres“
§
ich fluche, wettere, lästere, beschwöre
o
Neustart
§
dito
§
Fallengelassenes bei „Gaukler“
§
Hoffnung? ich schimpfe, zetere, klage
o
Neustart
§
dito
§
Geschmiere bei „schmächtig“
§
ich rüttle, rüffle
o
Neustart
§
dito
§
Riss bei „Schwebe“
§
Hoffnung? ich schlage
o
Neustart
§
dito, dito, dito …
Hoffnung, nicht
ausdruckbar?
Treppenhausheld
Geile
Alters-WG-Gründungssternschnuppe in der Sommernacht
Mit
dem Fahrrad nach Hause.
Bowies
„we can be heroes“ – aus der Box im Rucksack, lauter Rückenwind.
Die
verdrehte Fahrradlampe blinzelt in die Baumhimmel.
Egal.
Wie
schnell bin ich noch!
Aufschließen.
Treppenlicht
an.
Fahrrad
in den Hinterhof.
Treppenlauf.
Vier
Etagen.
Das
Herz meldet sich.
Geschafft.
Hinter
der Tür:
Warten.
Das Licht geht aus.
Brauchte
zehn Sekunden mehr als neulich.
Es
wird enger, old hero, gräulich!
WER
sind WIR? Und WO war ICH?
Eine
Sprech-Sing-Kollage: ein Panzerlied, Autor-Biografisches, das Gedicht
‚WIR‘ von Inge Müller aus der Generation meiner Eltern, ein Link
zum 9. Oktober 2019.
Vorzutragen
in Poetry-Slam-Manier
Wer
sind WIR?
Wir,
sagte einer, der dazugehört
sind
die verlorne Generation
Sie
haben uns um unsre Ration geprellt,
das
uns Zustehende war schon verteilt.
„…
und wo war ich?“
Bin
da! Acht Jahre nach dem Krieg. Stammhalter. Nicht meine ältere
Schwester, ich muss die Initialen meines Vaters erben – wie die Unfähigkeit
zu trauern.
Es
wird wieder gläubig geheilt, verteilt.
Kirche,
alter Hut und Halt für die verlorne Generation
Prügel,
zuhause, in der Schule,
„…
uns hat es auch nicht geschadet…“
Erbfehler,
abgestandener Weihrauch
5
Geschwister, der Papst wollte es so
der
Vater brüllt, Kasernenhof.
Wer
sind WIR?
Wir
wurden mit der Lügenflasche aufgezogen,
gefüttert
mit dem Brei der Heuchelei,
gezüchtigt
mit der Peitsche der Vergangenheit,
geängstigt
mit dem Teufel an der Wand,
bis
wir das Gängelband zerrissen aus Furcht
und
stolpernd über unsere eigenen Füße fielen.
„…
und wo war ich?“
…
in der Schule, in der Kirche
katholisch,
lateinisch,
heilig
scheinende diabolische Dialektik
1967,
der Lehrer, Spätheimkehrer, kriegsverletzt,
mich
mit „Draußen vor der Tür“ in den Krieg zurückversetzt
pubertär
stolpernd, entsetzt,
unter
den Talaren der Mief von zwei mal tausend Jahren
elterliches
Bildzeitungszutrauen fördert mein Umglauben
Wer
sind WIR?
Im
Namen unsre Väter schrien wir HEIL
und
glaubten unser eigenes
und
wer von uns den Mund nicht auftat
würgend
an unverdaubaren Schalen
spie hin und wieder aus ins Gebüsch:
Der Magen war gesünder als der Kopf.
„…
und wo war ich?“
Auf
der Suche nach dem neuem High,
Fragen
an Böll-Bücher, wo war der Täter?
schwerverdaubares
„Schweig, du Verräter!“
Wer
sind WIR?
Wir lernten Preußens
Gloria – und drei vier: Ein Lied
und -
Deutschland, Deutschland über alles
… über die
eigne Leiche gehen, fürs Vaterland
„… und wo war ich?“
Kriegsdienstverweigerung
„nur über meine Leiche!“
zwei Verhandlungen und etwas Druck
brachten mich schon in die Kaserne zurück.
Wie die Väter, auch ein bisschen Täter
nicht drüber nachgedacht
und drei, vier, ein
Panzer-Lied!
Ob‘s
stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht
der Tag glühend heiß oder eiskalt
die Nacht,
Bestaubt sind die Gesichter, doch
froh ist unser Sinn,
Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin.
Die 3. Strophe mit dem Ende:
Was gilt denn unser Leben für
unsres Reiches Heer?
Für Deutschland zu sterben, ist uns höchste Ehr.
war da schon gestrichen
wurde aber sonst weiter gesungen,
weiter, weiter, immer weiter nach der antisemitischen SS-Lied-Melodie
von
„Es steht an der Grenze die
eiserne Schar
zum Kampfe in die Freiheit gegen
Judengefahr"
erst 2017 komplett aus dem Bundeswehrliederbuch
rausgekickt, weil urplötzlich erblickt
danach bei YouTube schon wieder
millionenfach angeklickt.
Wer
sind WIR?
Marsch, Marsch:
Volk ans Gewehr
Deutsch sein heißt
treu sein
Kopf ab zum Gebet
„…
und wo war ich?“
…
Jahre später
nicht
mehr bei den Gebeten,
jetzt
an den Kulturgeräten,
drechsle
verkopfte Texte,
schmiede
hilflos Papieräxte,
der
alte Mann,
und
„er kann nicht mehr“
unruhig
im rechten Deutschsein
imaginäre
identitäre Schimäre
ist
auch deutsches immaterielles Erbe
…
wenn es doch nur Poetry Slam wäre
Wer sind WIR?
Humanismus heißt: Jedem das Seine
(Die Mauer steht noch, wo das steht)
„…
und wo bin ich?“
Die
Tür hielt,
Jom
Kippur, Paulus-Viertel
Tod
von Jana und Kevin im Helmkamera-Livestream-Egoshooterschick
Thrill-Gamification
des Terrors bietet Kill-Gratification via Highscore
Das
Video findet den zehntausendsten gierigen Blick
obwohl
verboten, gesperrt, geschickt taucht es immer wieder auf
schon
wieder geklickt, zuhauf, entsichert den Hass
die
Maus als Abzug, Klick, halt drauf, echt und krass
„…
und wo stehe ich?“
Poetry muss nicht begründen, ehh Alta, nur
zeigen
Spruch aus meinem Philosophiestudium im
Alter
mach ich mir zu eigen
Mit „Jedem das Seine“ hat Platon in
seiner Politeia gezeigt
„dass man
das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt“
Welches Ding treibt … mich?
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